Stolpersteine Bürgel – Aktion am 14. Februar 2009

Familie Salomon Reiss, Offenbacher Strasse 7, 63075 Offenbach-Bürgel

ber die Familie Salomon Reiss konnte Pro Bürgel auf der Grundlage der Gespräche, die Herr Schinke mit einer Bürgeler Zeitzeugin Jahrgang 1924 und mit Herrn Rudolf Meyer in der Schöffenstrasse geführt hatte, sowie nach Einsichtnahme in das Gewerberegister und das Adressbuch von Bürgel, in die Archivkarten und in das so genannte ‚Gedenkbuch‘ Folgendes ausfindig machen:
Salomon Reiss wurde am 15.02.1882 in der Offenbacher Strasse 8 (heute Bürgerplatz 15) in Bürgel als Sohn von Markus Reiss, Werkführer, und dessen Ehefrau Rebekka Reiss, geb. Meier, geboren. Hausbesitzer war ein Franz Maith, von Beruf Metzger. Allerdings ist aus dem Gewerberegister nicht zu erkennen, wann das Gewerbe angemeldet und bis zu welchem Zeitpunkt es ausgeübt wurde.

Am 24.02.1906 heiratet Salomon Reiss Lilli Löwenstein, geb. am 26.10.1883 in Offenbach, und meldet im gleichen Jahr unter seiner Geburtsadresse ein Gewerbe als Metzger an. Es könnte daher sein, dass er bei Franz Maith in die Lehre ging.
Die Zeitzeugin, die ungenannt bleiben möchte (im Folgenden als „Frau X“ bezeichnet), hat Herrn Reiss, der in Bürgel von den Freunden und Bekannten nur „der Sally“ genannt wurde, als Mann mit guter Figur in Erinnerung. Frau Reiss sei eine kräftige Frau mit schwarzen Haaren gewesen.

Am 24.07.1918 zieht Sally Reiss mit seinen inzwischen 4 Töchtern in das Haus seiner Eltern in der heutigen Offenbacher Strasse 7 und meldet dort ab 06.01.1919 bis zum 31.05.1923 ein Gewerbe als Metzger an.

Sein Vater Markus Reiss hatte dort als Eigentümer 1904 links einen Seitenbau errichten lassen und ist auch im Gewerberegister als Gewerbetreibender (Arbeiter/Portefeuiller) aufgeführt, allerdings ohne erkennbare Angabe des Zeitraums. Im Grundbuchauszug von 1937 ist später Salomon Reiss als Eigentümer des Grundstücks Offenbacher Strasse 7 eingetragen, entsprechend dort auch wohnhaft laut Adressbuch aus dem Jahre 1939/40.

Bei der Offenbacher Strasse 7 handelt es sich eigentlich um 2 Häuser mit der gleichen Hausnummer und einem gemeinsamen Eingang. An 31.12.1910 meldete dort ein Otto Steinberg ein Gewerbe als Kurzwarenhändler an. Herr Steinberg wird in dem Adressbuch von 1939/40 nunmehr als Tabakwarenhändler geführt, seine Frau Emma Steinberg mit einer Lebensmittelhandlung. Es kann also davon ausgegangen werden, dass in dem linken Seitenbau Familie Steinberg ihr Geschäft hatte, Sally Reiss in dem rechten Anbau seine Metzgerei. Er soll aber auch als Schächter im Schlachthof tätig gewesen sein.

Familie Reiss hatte 4 Töchter:
– Selma Marta, geb. 15.01.1907, Verkäuferin
– Hertha, geb. 21.03.1908, Verkäuferin
– Irene, geb. 24.09.1909, Hausangestellte
– Gertrude, geb. 15.12.1913

Eine der Töchter – welche genau, weiß sie nicht mehr – war nach Erinnerung von Frau X Verkäuferin im Kaufhaus Ernst Oppenheimer. Die „Offenbacher Nachrichten“ meldeten hierzu am 01. Mai 1936: „Vor einigen Tagen wurde durch die Kalberlah-Kommanditgesellschaft das bisher jüdische Geschäftsunternehmen Oppenheimer in der Frankfurterstrasse übernommen.“

Von den beiden jüngeren Töchtern war laut Frau X eine von auffallend schöner Gestalt. Sie habe eine Beziehung mit einem Herrn Dr. Katzenstein gehabt, mit dem sie praktisch verlobt gewesen sei. Dieser habe mit ihr nach Amerika auswandern wollen. Die Papiere seien schon alle fertig gewesen, als dieser ohne seine „Verlobte“ emigriert sei. Zu den näheren Hintergründen konnte Frau X allerdings nichts sagen.

Gertrude, die Jüngste, eröffnete am 29.April 1931 in der Offenbacher Strasse 7 ein Gewerbe als Schneiderin, allerdings nur bis zum 22. März 1932.

Am 10. Oktober 1942 direkt aus der Offenbacher Strasse deportiert wurden außer den Eltern die beiden jüngsten Töchter Irene und Gertrude. Beide haben im Gedenkbuch den Eintrag „verschollen Polen“. Frau X kann sich daran erinnern, dass 2 Mädchen und das Ehepaar abgeholt wurden.

An die Deportation der Familie erinnern kann sich auch noch eine damalige Nachbarin aus der Offenbacher Strasse 9. Auch in der Deportiertenliste gelten Irene und Gertrude Reiss als in Polen verschollen. Bei Gertrude ist als Todestag der 08.Mai 1945 eingetragen. Wegen der Häufigkeit dieses Datums – Tag der Befreiung Deutschlands von der Nazidiktatur – ist die Eintragung allerdings wenig glaubwürdig.

Frau X vermutete, dass sich die beiden älteren Mädchen rechtzeitig – evtl. nach Amerika – hätten absetzen können, wusste darüber aber nichts Konkretes. Leider hat sich diese Vermutung nicht bestätigt:

  • Selma Marta Reiss wurde am 23. April 1940 aus der Staufenstrasse 31 in Frankfurt abgeholt und ist laut Gedenkbuch „in Auschwitz verschollen“.
  • Ihre Schwester Hertha Reiss hatte sich noch rechtzeitig am 22. Januar 1940 nach Berlin absetzen können, wurde aber dann doch am 27. Februar 1942 in Berlin aus der Kommandantenstrasse 58/59 abgeholt und ging laut Eintragung in der Jad Vashem Dokumentation am 03. März 1943 auf Transport nach Auschwitz, wo sie laut Gedenkbuch „verschollen“ ist.
  • Lilli Reiss, die Mutter, ist ohne Sterbedatum laut Deportiertenliste und Eintrag im Gedenkbuch „verschollen in Auschwitz“.
  • Laut Deportiertenliste verstarb ihr Mann Salomon im KZ Theresienstadt am 06. Juli 1943.

Abschließend möchte sich Pro Bürgel bedanken bei Herrn Rudolf Meyer für seine vielfältigen, sachdienlichen Hinweise, bei der Bürgeler Zeitzeugin für ihre persönlichen Erinnerungen an das damalige Geschehen und bei Herrn Hans Schinke für seine ergänzenden, zeitaufwendigen Recherchen im Stadtarchiv Offenbach und anderen Quellen.

Artikel in der Offenbach-Post vom 17. Februar 2009

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